- Goldbruchstücke als Zahlungsmittel entdeckt - Raubgraf, 17.03.2004, 18:49
- Link dazu: - Helmut, 17.03.2004, 18:55
- Re: Goldbruchstücke -- die sind halt wieder zu den Wurzeln zurückgekehrt:) - JoBar, 17.03.2004, 19:26
- Re: Goldbruchstücke als Zahlungsmittel entdeckt - für welche Zeit eigentlich? - bernor, 17.03.2004, 22:45
- Re: Goldbruchstücke als Zahlungsmittel entdeckt - für welche Zeit eigentlich? - dottore, 18.03.2004, 13:44
- Kleine Ergänzung - bernor, 19.03.2004, 00:30
- Re: Goldbruchstücke als Zahlungsmittel entdeckt - für welche Zeit eigentlich? - dottore, 18.03.2004, 13:44
Re: Goldbruchstücke als Zahlungsmittel entdeckt - für welche Zeit eigentlich?
-->Hi bernor,
>Goldbruchstücke als Zahlungsmittel entdeckt
>Winzige Fragmente importierter Goldmünzen aus Ägypten und Byzanz waren in Syrien kurz vor den Kreuzzügen...
Die Aufregung darüber verstehe ich nicht ganz. Gold- und Silbermünzen fremder Herren wurden zum jeweiligen Materialwert genommen und häufig zerbrochen oder zerschnitten ("Bruchsilber"). Bei dem 1/2-Cent-großen Goldstück, so es aus Byzanz stammt, könnten wir 1/2 oder 1/4-Solidus (Durchmesser: ca. 2 bis 2,5 cm) haben, also ca. 1 bis 2 g (= 10 bis 20 Euro heute).
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Ein früheres Beispiel, aber der Solidus hat sich bis fast zuletzt (13./14. Jh.) gehalten, wenn auch in verschiedener Ausgestaltung, z.B. gibt's auch schüsselförmige, vermutlich, um sie besser zu stapeln. Es gibt auch Mehrfach-Solidi. Auch kleinere ("Tremissis" usw.).
Damit waren keine"kleinen" Waren zu kaufen. Was will uns also der Fund sagen?
>Was ist mit der Zeit davor: immerhin mehr als 400 Jahre islamischer Herrschaft - und diese ohne eigene Münzen?
Ganz verzwickte Sache. Im Osten des Islams gab's andere Zahlzeichen als im Westen. Die Münzen werden traditionell nach"Hedschra-Daten" (ab 622) datiert, da sie entsprechende Zahlzeichen tragen, die aber auch im ziemlich gut erforschten Westen (Andalusien, Marokko) nicht durchgehend existieren.
Ob die Daten Jahreszahlen entsprechen und ergo der Chronologie helfen, ist ebenfalls unklar. Die ältesten Stücke fangen ohnehin erst ca. 70/80 Jahre nach 622 an und tragen auch noch sassanidische Aufschriften. Möglicherweise handelt es sich um"Indiktions"-Zahlen - also keine Jahres-, sondern Steuerterminzahlungen. Die Osmane hatten 1677 eigene Fiskaljahre eingerichtet, die den Kalenderjahren entsprachen. Davor sollen es"religiöse" Zahlen gewesen sein. Wozu"religiös", warum die Hedschra?
Auf das Problem der Mondjahr-Rechnung des Islamischen Kalenders (354 tage) muss auch geachtet werden.
>...die Hauptzahlungsmittel. Für diese Theorie, die bislang nur durch historische Texte gestützt wurde, fanden Jenaer Wissenschaftler zusammen mit syrischen und französischen Kollegen bei Grabungen in der Zitadelle von Damaskus handfeste Beweise. Zwei Fragmente einer ägyptischen und einer byzantinischen Münze,...
>Aus welcher Zeit stammen diese Münzen genau? Gibt es überhaupt solche komplett für die Zeit vom 7.-11. Jh.? (Kann Dottore numismatisch sicher am besten klären).
Es gibt die andalusische Zählung, die ziemlich gut durchgeht (den Corpus gerade nicht zur Hand). Aber rätselhafterweise erscheinen auch auf diesen Münzen nicht nur Koran-, sondern auch Bibelverse. Die byzantinischen Münzen sind nicht durchdatiert, man schließt also von Herrscher- auf Münzdaten. Für die Herrscherdaten gibt es keine gesicherten Daten. Von Heraklius bis Konstantin VII. ("Purpurgeborener") habe wir diverse Ungereimtheiten (wiederholte Kaisernamen, keine Porträts, die unterscheidbar wären, Kaiser die zweimal gekrönt werden usw.). Die These, dass es sich um regionale Usurpatoren handelte, die zeitgleich aufeinander eindroschen, ist nicht von der Hand zu weisen. Außerdem werden"plötzlich" neue Kaiser entdeckt (Makrinus), die bisher unbekannt waren; erinnert an die Lage in Westrom (Gallien, Britannien), wo ebenfalls neue Namen auftauchen, eben erst wieder der Münzfund, der hier schon besprochen wurde.
> ...die etwa die Größe eines halben Cents haben, wurden entdeckt und bestätigten erstmals die Aussagen der mittelalterlichen Texte. Aus der zeitgenössischen Geschichtsschreibung seien vielfach Klagen über den Umlauf von Bruchstücken bekannt, weiß Stefan Heidemann von der Universität Jena. Da es einen Mangel an Münzgeld und insbesodere an Kleingeld gab, wurden die wenigen vorhandenen ganzen Goldmünzen...
>Ein Wunder, daß nach über 400 Jahren überhaupt noch etwas da war, nachdem schon im 6. Jh. dem famosen"Imperium Romanum"-Restaurator Justinian II. das 'nötige Kleingeld' plötzlich ausgegangen war - auf die 'imperiale Überdehnung' folgte der Staatsbankrott und danach der Abstieg.
Der hat mit extrem großen Kupferstücken"gearbeitet" mit Wertzeichen M (40) und K (20) oder so. Es gibt auch noch eine Zeitlang Münzen mit Indiktionszahlen (Steuerzyklen), aber die hören dann auf und alle tappen im Dunkeln. Tatsächlich hat der Keeper of the coins im BM die Münzen, die auf seinem Tisch lagen, wohl solange hin- und hergeschoben, bis es irgendwie"passte".
Die Araber waren zunächst Söldner im Dienste von Byzanz, ab dem Aufbruch des Islam wurden umgekehrt Nicht-Muslime zu heftigen Steuern herangezogen (Externalisierung der Machtkosten). Und es kam zu der berühmten Zweiteilung von Dar-al Islam und Dar-al-Harb (dem Haus des Islams und dem Haus des Krieges), Klartex: Es durften die Muslime nicht Krieg gegeneinanderführen, aber gegen Ungläubige sehr wohl. Dass die dann Abgaben zu leisten hatten, verwundert nicht. Umso mehr, wie den Muslimen das Geld ausgegangen sein soll, so dass sie Gold zerbrechen mussten. Aber vielleicht war da schon Schluss mit Lustig?
>...zerbrochen. Das verstieß zwar gegen das Wucherverbot des Korans und minderte den Wert des Geldes, wurde aber in Kauf genommen, um das täglich benötigte Kleingeld zu erhalten. Für Heidemann sind die Funde das fehlende Puzzlestück für seine Wirtschaftstheorie über die Städte während dieser Zeit. Die Klärung des historischen Geldumlaufs sei entscheidend für die Beurteilung ihres wirtschafllichen Wiederaufstieges im 11. Jahrhundert nach einer Zeit der beduinischen Vorherrschaft...
>"Beduinisch" soll hier wohl heißen: zu primitiv für Geldwirtschaft, deswegen ham wir da nix gefunden...
Jeder"Wiederaufstieg" (im Westen"renovatio imperii") macht immer stutzig. Vielleicht war's der Aufstieg sebst?
>...und ihrem Niedergang kurz vor Beginn der Kreuzzüge.
>Überhaupt die Kreuzzüge... welches Ereignis war so"aufwühlend", daß"man" damit die christlichen"Massen" zur"Gegenreaktion" aufputschen konnte?
Nach meiner Einschätzung der übliche verschuldungsbedingte Inkasso-Versuch im Osten, da ja seit Alexander, Crassus, Caesar (kurz vor Partherfeldzuig erstochen) usw. gang und gäbe war.
>Sicher waren auch wirtschaftliche Gründe maßgebend (siehe Alaungruben) - aber damals wie heute muß irgendein schockierendes Ereignis (egal, ob inszeniert oder"echt") der Auslöser gewesen sein.
Möglich. Woran sollte man denken? (Die üblichen Märchen sind mit Sicherheit Bemäntelungen; die Spanier reist auch nicht gen Westen, um das Christentum zu verbreiten, sondern um sich Gold zu beschaffen).
>Der bloße Wechsel von einer islamischen Herrschaft zur nächsten (dadurch angebliche Behinderung der christlichen Pilger im Hl. Land) reicht da sicher nicht - dann kann der Auslöser eigentlich nur die Eroberung des Hl. Landes - und vor allem Jerusalems! - durch Nichtchristen an sich gewesen sein.
>Diese fand im frühen 7. Jh. durch Perser (Chosrau II.) und Muslime statt (durch letztere angeblich später separat, nach einer angeblichen byzantinischen Rückeroberung, obwohl die Muslime aus ihrer Überlieferung nur eine Eroberung kennen - die eigene).
Ja, Jerusalem soll 637/8 gefallen sein. Der Knackpunkt war dann angeblich der Verbot von Pilgerreisen unter dem ägyptischen Kalifen al-Hakin (Sagengestalt? jedenfalls verschwand er während eines Spaziergangs auf Nimmerwiedersehen) nach Jerusalem. Da Pilger meistens Geld bringen, und nicht abholen, leuchtet das nicht ein.
>Die Frage, wen das Ende des 11. Jh. noch jucken soll, erledigt sich, wenn man sich jene Epoche archäologisch betrachtet - pars pro toto die alte Handelsstadt Byblos:
>- bis ins 7. Jh.: antike Schichten, zuletzt byzantinisch
>- bis um 1100: nichts!
>- ab ca. 1100: reichlich Belege für Kreuzfahrer-Bauten für ca. 200 Jahre
>- ab ca. 1300: Verfall nach islamischer Rückeroberung
Das gilt für das ganze Gebiet, vgl. das Buch von M. Gill.
>Auch die Überlieferung zu Byblos ist für die"frühislamische" Zeit recht dürr und dubios: nur die einzige Erwähnung, daß ein"Kalif" (661-680, nach der Eroberung?) eine - persische - Garnison in die Stadt legte.
>Fazit aus alledem: Mehr als 400 Jahr"islamische" (und sonstige)"Geschichte" gehören ins Reich der Fantasie.
Sagen wir so: Viel Fantasie gehört dazu, sie"mit Leben zu erfüllen".
Gruß!

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