- Fundstücke zu"Schwundgeld", Staatsschulden und Offenmarkt-Politik - dottore, 16.10.2001, 10:46
- Vielen Dank und ein paar generelle Fragen - FlyingCondor, 16.10.2001, 14:21
- Re: Wenn Herr Welteke und der Chor der Bundesbänker im TV auftreten... - dottore, 16.10.2001, 20:04
- Vielen Dank und ein paar generelle Fragen - FlyingCondor, 16.10.2001, 14:21
Fundstücke zu"Schwundgeld", Staatsschulden und Offenmarkt-Politik
Hi,
über zwei Fundstücke ist zu berichten, die etwas zur Genese der Freigeldbewegung mitteilen und ihren engen Zusammenhang mit Heilslehren und dem Staats- und Staatsschuldenphänomen:
1. 1860 erschien im Verlag der Mechitharisten-Congregation in Wien ein Büchlein (28 S. in Oktav) mit dem Titel:
Einige Worte über Geld- und Münzverhältnisse überhaupt und daraus entsprungener Vorschlag einer Maßregel, um im österreichischen Kaiserthume die Gleichheit zwischen Staats-Einnahmen und Staats-Ausgaben herzustellen."
Der (anonyme) Verfasser schlägt darin die Ausgabe von"Papiermünzen" vor, die jeden Monat um zwei Prozent weniger wert werden sollten.
<font color="FF0000">Dies ist m.W. der erste"Schwundgeldvorschlag" überhaupt.</font> Verf. macht den Vorschlag (lange vor Silvio Gesell, der damit sein Copyright auf solche Ideen verliert!), um, wie schon der Titel sagt, die Finanzprobleme des States zu beseitigen.
Jedes Schwundgeldsystem dient bekanntlich immer der Beseitigung von Finanzproblemen (nicht nur staatlicher, sondern auch - wie die aktuellsten Vorschläge lauten, privater). Dies ist auch in dem schönen Beispiel der von den Gesellianern immer wieder hochgeholten Brakteaten zu sehen, mit deren Hilfe sich die Münzherren, voran Bischof Wichmann von Magdeburg, immer aufs Neue zu entschulden suchten: Man zog z.B. 10 Münzen ein und gab 8 in gleichem Nennwert wieder aus, was hier ausführlichst schon diskutiert wurde.
Die Mechitharisten (Congregation der Benediktinischen Armenischen Antoninen-Mönche) leben nach den Regel des Hl. Benedikts und haben sich um die Wiederbelebung alter armenischer christlicher Schriften verdient gemacht.
Die Congregation wurde 1701 in Istanbul gegründet und ließ sich 1717 auf der Insel San Lazzaro bei Venedig nieder, die ihr von der Republik Venedig geschenkt wurde.
Eine Gruppe spaltete sich ab und kam nach Wien und gründete dort zu Beginn des 19. Jh. einen Ordo Mechitaristarum Vindobonensis. Die Wiener betrieben aktive Missionierung und errichteten Niederlassungen bis nach Cambridge (Mass./USA) und Los Angeles.
2. Gesell selbst und Ernst Frankfurth publizierten 1909 (Leipzig, Physiokratischer Verlag) ein interessantes Buch:
Aktive Währungspolitik - eine neue Orientierung auf dem Gebiet der Notenemission.
Die Verfasser fordern die Einrichtung eines"Reichsgeldamtes" (später hieß es dann"Reichswährungsamt"), das nicht nur Banknoten gegen Diskontierung von Wechseln (damals üblich), sondern über An- und Verkauf von Reichsanleihen ausgeben und einziehen sollte.
Dis ist m.W. der erste groß angelegte Vorschlag zu jener"Offen-Markt-Politik" überzugehen, also den An- und Verkauf von Uneinbringlichkeiten, die dann 1921/22 zum ersten Mal in den USA praktiziert wurde (vgl. Annual Report des Federal Reserve Board 1922, S. 409 ff.). Und die bis heute von vielen Notenbanken durchgeführt wird (in den USA hält die Fed heute ausschließlich Staatstitel, die Bundesbank ca. 25 % ihrer Aktiva).
Dies zeigt nicht nur, dass Gesell keineswegs ein"deckungsloses" Geld im Auge hatte, was sich bis heute z.B. bei Oldys Gogos fortsetzt, die durch kanadische Dollar"gedeckt" sein sollen, die bekanntlich ihrerseits durch kanadische Staatspapiere, also kanadische Staatsschulden"gedeckt" sind.
Es zeigt auch, dass es auch Gesell zunächst darum gegangen ist, dem Staat behilflich zu sein, der sich am Kapitalmarkt leichter finanzieren kann, wenn die Titel anschließend zur Notenbank wandern können, wo sie dann wiederum - auf Zeit und gegen die bekannten Notenbank"sätze" (Monopolprämien) - in Banknoten bzw. Forderungen der Geschäftsbanken bei der ZB verwandelt werden können.
Die ganze"Schwund-" und"Freigeld"-Bewegung entstammt also sehr sorgfältigen Überlegungen, wie zuvörderst dem Staat aus seiner permanenten Finanzklemme geholfen werden kann. Denn ohne Staatsverschuldung kann es auch keine Ausgabe von Bargeld gegen Hinterlegung von Staatstiteln als"Sicherheit" bei der Notenbank geben.
So zu tun, als wolle man ein"System" entwickeln, das der freien Wirtschaft und dem freien Individuum hilft, ist - geht man auf die Grundlagen der Bewegung zurück - nur Tünche.
Tut mir leid.
Gruß
d.
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