- OT: Erheiterndes zu Krieg, Embedding und die 1. Pressekonferenz - dottore, 24.07.2005, 15:14
- Maximilian I wollte den Krieg an sich abschaffen... - Stephan, 24.07.2005, 15:49
- Re: Liest sich in den Quellen völlig anders - dottore, 24.07.2005, 18:07
- Re: Liest sich in den Quellen völlig anders - Stephan, 24.07.2005, 23:02
- Re: Liest sich in den Quellen völlig anders - dottore, 24.07.2005, 18:07
- Maximilian I wollte den Krieg an sich abschaffen... - Stephan, 24.07.2005, 15:49
OT: Erheiterndes zu Krieg, Embedding und die 1. Pressekonferenz
-->Hi,
nicht erst seit dem embedded-PhĂ€nomen im letzten Irak-Krieg macht man sich, zumal als Medien-Heini so seine Gedanken ĂŒber das PhĂ€nomen âKrieg (und oder Gewalt) und Medienâ. Im Gutenberg-Jahrbuch 2005 hat der Mainzer Publizistik-Professor JĂŒrgen Wilke dazu Interessantes zusammengetragen (Kriege als Antriebsmomente der Mediatisierung: Historische Traditionen).
Vorweg sei vermerkt, dass ich vor Jahren schon in einer Ausstellung (âAuch saget man warlich...â AS 1996) ĂŒber frĂŒhe Zeitungen (Zeitung = Nachricht) darlegen konnte, dass die ersten Zeitungen sich mit Hingabe GewaltphĂ€nomenen widmeten, z.B. der Eroberung der Neuen Welt, den Bauernkriegen, dem âsacco di Romaâ (1527; mit dem Ă€ltesten derzeit bekannten Zeitungs-Ms.: âNeue Zeitung, dass sich der Papst mitsamt 8 KardinĂ€len in der Engelsburg verschanzt hat...â), der Enthauptung des Thomas Morus, der Eroberung des aufstĂ€ndischen MĂŒnsters (1535), der von Kopenhagen (1536), usw. usw.
Wilke nun: âDie Ausbreitung moderner Massenmedien ist durch Kriege vorangetrieben worden.â Umgekehrt haben Medien sogar Kriege entschieden. Beispiel 1870/71: Moltke erfuhr aus Zeitungen vom Schwenk der französischen Armee, die er dann bei Sedan vernichtend schlagen konnte.
Nun geht es nicht nur um Berichte aller Art und deren schlaue Rezeptionen, sondern vor allem um die mediale Instrumentalisierung im Kriege. Da âKriegâ in allen Varianten inzwischen als Dauerzustand etabliert ist (Krieg gegen den Terror, usw.) ist eine RĂŒckschau auf die Geschichte dieser Instrumentalisierung interessant, die sich mit der Geschichte der Presse mehr und mehr zu decken scheint, so dass wir heute fast schon von einer Synomisierung sprechen können.
Beginnend mit Entwicklung in der Neuzeit (die legendĂ€ren Acta Diurna des Julius Caesar und folgende Herrscher-Propaganda bis zur Ausbreitung der Druckkunst seien weggelassen) haben wir u.a. diese hĂŒbschen VorfĂ€lle:
1. Maximilian I. war der erste, der die Ă-ffentlichkeit entsprechend zu beeinflussen suchte. Er lieĂe diverse Einblattdrucke nach Venedig (Venedigerkrieg 1509-11) schmuggeln, um die Stadt gegen die Signoria aufzuwiegeln (was misslang, der Stadt-Republik die Niederlage dennoch nicht ersparte).
2. Im 30jĂ€hrigen Krieg mit Massen von âNeuen Zeitungenâ, die ĂŒber das Kriegsgeschehen unterrichteten, wurde u.a. der Ausgang der Schlacht von Nördlingen 1634 (Sieg der Katholiken) von der unterlegenen Seite gĂ€nzlich anders dargestellt als er tatsĂ€chlich war, garniert noch von den ĂŒblichen Mitteilungen ĂŒber GrĂ€uel, Verheerungen, Verlustmeldungen etc.(gute Monographie von Göran Rystad dazu).
3. Friedrich II. darf dann in den Schlesischen Kriegen als Initiator der NachrichtenfĂ€lschungen gelten. Enttarnt hat diese FĂ€lschungen bereits der bedeutende Historiker Johann Gustav Droysen in den 1870er Jahren. Wilke: âBemerkenswert (sind) IntensitĂ€t (und Systematik der amtliche gesteuerten Berichterstattung.â. Fiktive Offiziere erfanden Feldzugs-Lagen, der AuĂenminister redigierte Berichte, der König selbst (!) verfasste diverse und schreibt geradeaus:
4. âSolche Relation (= Bericht) ist umso zuverlĂ€ssiger (!), als selbige von meiner (!) Facon ist...â
5. Napoleon stand dem nicht nach und schrieb und redigierte die Bulletins de la Grande Armee in höchsteigener Person.
6. Dem wollte Metternich nicht nachstehen und er offerierte seine âIdee zur GrĂŒndung einer Zeitung unter dem Schutz und der Redaction (!) der alliierten MĂ€chteâ, was dann in der Feld-Zeitung ab 1813 geschah.
7. Lug und Trug erreichten im Krieg 1870/71 einen weiteren, durch Zuhilfenahme der Telegraphie und der Fotografie (letztere zum ersten Mal im Krim-Krieg 1854/56 âeingesetztâ, 1870 entsteht das erste fliegende photographische Atelier des preuĂischen Generalstabes) gesteigerten Höhepunkt.
8. Der Franzose Albert Robida entwarf 1883 ĂŒbrigens schon just, was heutige embedded-Reporter als Handwerkszeug haben: Eine DirektĂŒbertragung vom Schlachtfeld per Mikrofon (damals noch mit Standleitung) und sogar ein âTelephonoscopeâ, also das Fernsehen, wie wir es heute direkt vom Kampfgeschehen gewohnt sind. Ein wahres Genie in der Vorwegnahme kĂŒnftiger Dinge (sein âKrieg im 20. Jahrhundertâ setzte als Datum der EinfĂŒhrung dieser Errungenschaften die Mitte des 20. Jh. an - ein Volltreffer!).
Nun noch etwas ĂŒberaus Lehrreiches. Heute gelten âPressekonferenzenâ (PKs) als AlltĂ€glichkeit in Politik und Wirtschaft (von den Show-Fuzzis ganz zu schweigen). Aber wer hat dieses Instrument dieses brainwash eigentlich erfunden?
Wieder sehen wir ein Kriegskind. Die erste PK der Welt stieg am 3. August 1914. Wo? In einem sich bis heute bewĂ€hrenden Tempel der Unwahrhaftigkeit (pardon: der reinen Lauterkeit, man denke an die sog. âVertrauensfrageâ), nĂ€mlich in einem Zimmer im Deutschen Reichstag. Dort bat ein Major (Name: Georg Schweitzer) Vertreter der Presse zu sich, um (so in einem Nachruf auf ihn)
âeine regelmĂ€Ăige Verbindung (!) zwischen den MilitĂ€r- und Zivilbehörden und der Presse herzustellen... Schon nach 10 Tagen stellte sich die Notwendigkeit einer Erweiterung heraus, so dass die Einrichtung einer regelrechten Pressekonferenz, zunĂ€chst dreimal wöchentlich im Reichstag, beschlossen wurde. Ein besonderer Presseausschuss erhielt die Genehmigungserteilung der Zulassung, fĂŒr die dann der Generalstab (!) besondere Karten ausstellte... Die Verhandlungen der Pressekonferenz wurden fĂŒr vertraulich (!) erklĂ€rt und die Verwendung der Mitteilungen nur nach bestimmten GrundsĂ€tzen (!) gestattet.â
Wilke: âDie Pressekonferenz... war ein Geschöpf des Ersten Weltkriegs.â
Das embedding, das die Briten ebenfalls im Ersten Weltkrieg betrieben und 6 Korrespondenten der Army an die Westfront schickten, hatten die Nazis dann zu einem riesigen militĂ€rischen System ausgebaut. Ab 1939 existierten 7 Propagandakompanien des Heeres, 4 der Luftwaffe und 2 der Marine. Auf dem Höhepunkt sollen 15.000 Köpfe an der âWahrheitsfindungâ beteiligt gewesen sein.
Inwieweit Peter Scholl-Latour zu folgen ist, der die Praxis unter einer Diktatur der demokratischer Staaten gleichsetzt, was Wilke als âgelinde gesagt leichtfertigâ kritisiert oder ob eine âunabhĂ€ngige Kriegsberichterstattungâ bei Einbettungen formell unabhĂ€ngiger Medienvertreter möglich ist, bleibt einstweilen umstritten. Jedenfalls hat sich das journalistische RollenverstĂ€ndnis gewandelt, vom âAugenzeugenâ zum âAufklĂ€rerâ - was auch immer unter Letzterem zu verstehen ist. Die einschlĂ€gigen AusfĂŒhrungen von Ute Daniel (2004) ĂŒber den âGallipoli-Effektâ konnte ich noch nicht einsehen.
Aber vielleicht amĂŒsiert es den einen oder anderen auch so.
GruĂ!

gesamter Thread: