- Real-Enzyklopädie (16): Gesell, Manchesterum, Darwin, Hochzucht, Freiwirtschaft - dottore, 31.08.2001, 17:22
- Hallo Monseniore Dottore ;-) kann er mir bitte seine email zukommen... - Ricoletto, 31.08.2001, 17:31
- Re: Real-Enzyklopädie (16): Gesell, Manchesterum, Darwin, Hochzucht, Freiwirtschaft - André, 31.08.2001, 19:44
- Re: Real-Enzyklopädie (16): Gesell, Manchesterum, Darwin, Hochzucht, Freiwirtschaft - Campo, 31.08.2001, 22:43
- Meine volle Zustimmung, obwohl mich mit FG nichts am Hut habe. oT. - BossCube, 31.08.2001, 23:19
- Wenn einem die Argumente ausgehen, dann kommt man mit Polemik - XSurvivor, 01.09.2001, 07:05
- Re: Real-Enzyklopädie (16): Gesell, Manchesterum, Darwin, Hochzucht, Freiwirtschaft - dottore, 01.09.2001, 13:07
- Re: Real-Enzyklopädie (16): Gesell, Manchesterum, Darwin, Hochzucht, Freiwirtschaft - Campo, 02.09.2001, 20:01
- Re: Real-Enzyklopädie (16): Gesell, Manchesterum, Darwin, Hochzucht, Freiwirtschaft - dottore, 03.09.2001, 18:05
- Re: Real-Enzyklopädie (16): Gesell, Manchesterum, Darwin, Hochzucht, Freiwirtschaft - Campo, 02.09.2001, 20:01
- Re: Real-Enzyklopädie (16): Gesell, Manchesterum, Darwin, Hochzucht, Freiwirtschaft - André, 02.09.2001, 18:38
- Re: Real-Enzyklopädie (16): Gesell, Manchesterum, Darwin, Hochzucht, Freiwirtschaft - Campo, 02.09.2001, 21:22
- Re: Real-Enzyklopädie (16): Gesell, Manchesterum, Darwin, Hochzucht, Freiwirtschaft - André, 03.09.2001, 08:56
- Re: Real-Enzyklopädie (16): Gesell, Manchesterum, Darwin, Hochzucht, Freiwirtschaft - Campo, 02.09.2001, 21:22
- Re: Real-Enzyklopädie (16): Gesell, Manchesterum, Darwin, Hochzucht, Freiwirtschaft - Campo, 31.08.2001, 22:43
- Re: Real-Enzyklopädie (16): Gesell, / Großen Dank für diese Erkenntnisse! owT - JüKü, 31.08.2001, 20:17
Real-Enzyklopädie (16): Gesell, Manchesterum, Darwin, Hochzucht, Freiwirtschaft
Guten Tag,
durch freundliche Hilfe des Staatsarchivs in München bin ich an einen Text von Silvio Gesell gekommen, der vermutlich das wieder gibt, was den Kern seiner freiwirtschaftlichen Lehre ausmacht.
Einige Stellen aus dem Text, der den professionellen Freiwirten möglicherweise gut bekannt ist, da er wohl irgendwo auch in gedruckter Form vorliegen dürfte, erscheinen es mir doch wert, vorgestellt zu werden.
Ich hatte mich nämlich schon immer gefragt, was denn den missionarischen Eifer der freiwirtschaftlichen Bewegung letztlich ausmacht, bzw. wie denn das Menschen- und Gesellschaftsbild ausschauen mag, dass sich nach Realisierung der beiden Gesell’schen Vorschläge „Freiland" und „Freigeld" ergeben soll.
Um es vorweg zu nehmen: Gesell erscheint als in diesen Texten als Ultra-Marktwirtschaftler und den Selektionslehren selbst Darwins nicht abgeneigt. Während ich das Zweite unkommentiert lassen möchte, wundert mich das erste letztlich doch. Denn jemand, der auf vollen Wettbewerb im buchstäblich Manchester-kapitalistischen Sinne setzt (wörtlich sogar, wie wir noch sehen werden), ist auf der anderen Seite jemand, der auf ein staatliches Boden- und Geldmonopol hinaus will, was sich schlecht mit der Lehre reiner Marktwirtschaft vereinbaren lässt.
Aber lassen wir ihn selbst zu Wort kommen (BHStA, Abt. II, MA 99890 ff.). Die Hervorhebungen sind von mir.
"Wie bei allen Lebewesen, so hängt auch das Gedeihen des Menschen in erster Linie davon ab, dass die Auslese nach den Naturgesetzen sich vollzieht. Diese Gesetze aber wollen den Wettstreit. Nur auf dem Wege des Wettbewerbs, der sich überwiegend auf wirtschaftlichen Gebiet abspielt, kann es zur förderlichen Entwicklung, zur Hochzucht kommen. Wer darum die Zuchtgesetze der Natur in ihrer vollen, wundertätigen Wirksamkeit erhalten will, muss die Wirtschaftsordnung darauf anlegen, dass sich der Wettbewerb auch wirklich so abspielt, wie es die Natur will, d.h. mit der von ihr gelieferten Ausrüstung, unter gänzlicher Ausschaltung von Vorrechten."
Inwieweit ein Boden- und Geldmonopol des Staates kein Vorrecht sein soll, kann ich einfach nicht nachvollziehen.
"(Dann) darf man hoffen, dass mit der Zeit die Menschheit von all dem Minderwertigen erlöst werden wird, mit dem die seit Jahrtausenden vom Geld und Vorrecht geleitete Fehlzucht sie belastet hat..."
Das ist ziemlich starker Tobak.
"Es darf uns nicht ergehen wie etwa dem Christen, den seine Religion in folgerichtiger Anwendung zum Bettler macht und im Wettstreit entwaffnet, worauf er dann mitsamt seiner Brut im Auslesevorgang der Natur vollends zermalmt wird. (...) Die natürliche Wirtschaftsordnung wird darum auf dem Eigennutz aufgebaut sein (...) Mit der auf Eigennutz aufgebauten natürlichen Wirtschaft soll jedem der eigene volle Arbeitsertrag gesichert werden, mit dem er dann nach freiem Ermessen verfahren kann."
Das mit dem Christentum und dem Kapitalismus haben wir bei Max Weber („protestantische Ethik" usw.) allerdings ganz anders gelesen. Auch LeGoff kennt das aus dem MA völlig anders, was die christlichen Kaufleute angeht. Und selbst der katholische Jakob Fugger hat sich sein Seelenheil mit Hilfe der Fuggerei absichern lassen.
Über den „vollen Arbeitsertrag" entscheiden in einer freien Wirtschaft übrigens nicht jene, die ihn anbieten, sondern jene, die ihn akzeptieren. Kleines Einmaleins von Angebot und Nachfrage. Das mit dem vollen Arbeitsertrag hatte schon Marx mit seiner Mehrwertthese nicht richtig kapiert.
<font color="FF0000">"Diese natürliche Wirtschaftsordnung könnte man auch als ‘Manchestertum’ (sic!) bezeichnen, jene Ordnung, die den wahrhaft freien Geistern immer als Ziel vorgeschwebt hat - eine Ordnung, die von selber, ohne fremdes Zutun steht und nur dem freien Spiel der Kräfte überlassen zu werden braucht, um alles das, was durch amtliche Eingriffe, durch Staatssozialismus und behördliche Kurzsichtigkeit verdorben wurde, wieder ins richtige Lot zu bringen." </font>
Ich verstehe die eindeutig amtlichen Eingriffe wie „Freigeld" und „Freiland" immer weniger. Wenn dies nichts mit Staatssozialismus und Behörden zu tun haben soll - was denn sonst?
"Die Manschesterschule war auf dem richtigen Wege, und auch das, was man von Darwin her später in diese Lehre hineintrug, war richtig...."
Hoppala! („Darwin" von Gesell selbst hervorgehoben).
"Nur hatte man die erste und wichtigste Voraussetzung des Systems ungeprüft gelassen und sich nicht um die Kampfbahn gekümmert, auf der nun die Kräfte frei sich messen sollten. Man nahm an (nicht alle taten es harmlos), dass in der gegebenen Ordnung, mit Einschluss der Vorrechte des Grundbesitzes und des Geldes, die Bürgschaft für einen genügend freien Wettstreit läge, vorausgesetzt, dass sich der Staat nicht weiter in das Getriebe der Wirtschaft mischen würde."
Gewiss hat jemand, der Grund und Geld besitzt, ein Vorrecht gegenüber dem, der das nicht besitzt. Aber was sollte jemand (wie ich), der ohne jeglichen Grundbesitz und ohne jegliches Geld seinen Berufsweg begonnen hat und jetzt beide dieser „Vorrechte" genießen kann, dazu sagen? Ich habe mir Grund und Geld auf völlig freien Märkten und mit Hilfe eigener, von anderen freiwillig akzeptierter Leistung beschaffen können.
Wo also bleibt das"Vorrecht", zumal jenes derer, die vor mir im Besitz bzw. Eigentum von Grund & Geld gewesen waren? Sie sind dieses Vorrechts im ganz normalen wirtschaftlichen Leistungswettbewerb verlustig gegangen und ich habe es mir nicht mit Gewalt angeeignet.
"Wenn von all diesen schönen Manchesterhoffnungen bis zu heutigen Tag (der Text stammt aus 1919, d.) keine Spur der Verwirklichung sich zeigt (...), so muss die Ursache in dem von den Manchesterleuten aus Unkenntnis der Dinge unbesehen aus dem Altertum übernommenen Geldwesen gesucht werden, das einfach versagt, sobald sich die Wirtschaft im Sinne der manchesterlichen Erwartungen entwickelt."
In der Geschichte gab es immer wieder manchesterhafte Phasen, also völlig freien und gnadenlosen Wettbewerb usw. Was das Geldwesen damit zu tun hat, ist nicht so Recht erfindlich, da es nun wirklich jede Form eines Geldwesens in der Geschichte ebenfalls gegeben hat, wobei die letztlich dann „ungleiche" Verteilung von Gütern und Guthaben bzw. Geld Resultat des freien Wettbewerbs und nicht umgekehrt die ungleiche Verteilung von Geld zur ungleichen Verteilung von Gütern geführt hat. Ein Mann wie Bill Gates hat mit Null angefangen und ein Mann wie Raul Gardini mit sehr viel Geld. Gates wurde zum reichsten Mann der Welt und Gardini hat sich - überschuldet - erschossen. Weitere Beispiele ad libitum.
"Man wusste nicht, dass das Geld den Zins zur Bedingung seiner Betätigung macht (...) Die manchesterlichen Hoffnungen und die Goldwährung waren unvereinbar."
Gesell hat übersehen, dass es lange vor so etwas wie „Geld" selbstverständlich Zinsen gegeben hat, von Goldgeld ganz abgesehen. Es sind jede Menge Kontrakte überliefert, in denen zwar von „Zins", aber in keiner Weise von „Geld" die Rede ist (der Zins wurde in Form anderer Waren, z.B. Naturalien erlegt).
Außerdem ist die Goldwährung beendet und insofern geht spätestens mit dem heutigen Kreditgeldsystem sein Vorwurf gänzlich ins Leere.
"Entweder Eigen- oder Staatswirtschaft - ein Drittes gibt es nicht."
Da eine Monopolisierung des Bodens durch den Staat - wie die sozialistischen Experimente bezeugen - und die Monopolisierung des Geldwesens durch den Staat - wie der derzeit aktuelle Zustand beweist - zu keinem erfreulichen Ergebnis geführt haben, sollte beides, der Grundbesitz und das Geldwesen vollständig privatisiert sein („Eigenwirtschaft").
Was Gesell im Falle der „Staatswirtschaft" prophezeit bzw. feststellt, nämlich:
"(sie könne) die Tatsache nicht verschleiern, dass es sich im Grunde immer um denselben Schrecken, um den Tod der persönlichen Freiheit, Unabhängigkeit, Selbstverantwortung, d.h. um Behördenherrschaft handelt"
ist m.E. völlig richtig. Nur verstehe ich nicht, wozu wir in Fragen des Grundbesitzes und des Geldwesens just jene öde Behördenwirtschaft brauchen, die Gesell ablehnt, die aber von den Freiwirten so nachhaltig gefordert wird.
Irgendwo ist doch klar erkennbar ein logischer Bruch. Und selbst wer Gesells Manchesterkapitalismus bejahen wollte, braucht ihn doch nur auch auf Grund & Geld ebenfalls auszudehnen, um jene Ergebnisse zu erzielen, die ihm dann als „gerecht", „erstrebenswert" oder gar „hochzüchtend" vorschweben.
Dies erscheint mir eine erheblich einfachere Übung zu sein als der umgekehrte Weg, die Verbehördisierung von Grund und Boden plus Einführung eines von einem staatlichen (!) Währungsamt auszugebenden Geldes, dessen Wirkungsweise von Harburger bestens abgeleitet wurde, der sich dabei des von Gesell hergeleiteten Begriffs der „absoluten Währung" bedient.
Schon das Wort „absolut" macht frösteln...
Schönen Gruß
d.
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