- Einstein, Freud, die Gewalttheorie und der allseitige Illusionismus - dottore, 25.09.2003, 16:21
- Re: Einstein, Freud, die Gewalttheorie und der allseitige Illusionismus - chiron, 25.09.2003, 16:32
- Freud: Die psychologische Grundlage für eine Theorie der Aggression - Helmut, 25.09.2003, 16:57
- Re: Es ging mir nicht um Aggression, sorry - dottore, 25.09.2003, 18:10
- Sind wir damit nicht wieder beim 'Selbsterhaltungstrieb', bei der 'Urschuld' etc (owT) - Galiani, 25.09.2003, 21:36
- Re: Ja, plus das: - dottore, 26.09.2003, 11:11
- Sind wir damit nicht wieder beim 'Selbsterhaltungstrieb', bei der 'Urschuld' etc (owT) - Galiani, 25.09.2003, 21:36
- Re: Es ging mir nicht um Aggression, sorry - dottore, 25.09.2003, 18:10
- Freud: Die psychologische Grundlage für eine Theorie der Aggression - Helmut, 25.09.2003, 16:57
- Gewalttheorie und Illusionen - JN++, 25.09.2003, 17:58
- Re: Gewalttheorie und Illusionen - Zandow, 25.09.2003, 18:21
- Re: Tröstung - dottore, 25.09.2003, 19:22
- Ach du heilige Gurke - Zandow, 25.09.2003, 19:32
- Re: Zur Urschuld die Zwangsabgabenschuld - dann passt's schon (owT) - dottore, 26.09.2003, 10:57
- Welche ihrer Theorien stimmt den nun nicht mehr? - mkF - McShorty, 25.09.2003, 19:45
- Re: Die Urschuldthese muss erweitert werden: Um Steuern und Rentenbeiträge - dottore, 26.09.2003, 10:55
- Re: Die Urschuldthese muss erweitert werden: Um Steuern und Rentenbeiträge - Burning_Heart, 26.09.2003, 13:22
- Re: Genau so. Wer nicht aufgepasst hatte, war leider ICH (owT) - dottore, 26.09.2003, 14:20
- Re: J E T Z T wird's langsam richtig - Debitismen - Tassie Devil, 26.09.2003, 19:28
- Re: Genau so. Wer nicht aufgepasst hatte, war leider ICH (owT) - dottore, 26.09.2003, 14:20
- Re: Die Urschuldthese muss erweitert werden: Um Steuern und Rentenbeiträge - Burning_Heart, 26.09.2003, 13:22
- Antiquariate - Zandow, 26.09.2003, 11:10
- Re: Die Urschuldthese muss erweitert werden: Um Steuern und Rentenbeiträge - dottore, 26.09.2003, 10:55
- Ach du heilige Gurke - Zandow, 25.09.2003, 19:32
- Re: Tröstung - dottore, 25.09.2003, 19:22
- Re: Leider keine ökonomische Binsenweisheit - dottore, 25.09.2003, 18:51
- Re: Nanu, was lesen wir denn hier? - Bob, 25.09.2003, 19:06
- Re: Das ist doch des Rätsels Lösung - Bob, 25.09.2003, 19:34
- Re: Beinahe, Bob - vgl. zur Sanktion auch Masstricht - dottore, 26.09.2003, 10:40
- Re: Das ist doch des Rätsels Lösung - Bob, 25.09.2003, 19:34
- Re: Leider keine ökonomische Binsenweisheit - JN++, 26.09.2003, 13:50
- Re: Nanu, was lesen wir denn hier? - Bob, 25.09.2003, 19:06
- Re: Gewalttheorie und Illusionen - Zandow, 25.09.2003, 18:21
- Re: befreie die Männer......... - ottoasta, 25.09.2003, 18:36
- Re: falls ihr den Link nicht anklicken wollt, hier ein Abschnitt... - ottoasta, 25.09.2003, 19:07
- Re: und nochmal was zur Gewalt von Männern... - ottoasta, 25.09.2003, 19:34
- Re: falls ihr den Link nicht anklicken wollt, hier ein Abschnitt... - ottoasta, 25.09.2003, 19:07
- Gewalt ist immer mit Dummheit verbunden - R.Deutsch, 25.09.2003, 18:53
- Re: Es geht doch nicht ums Herrschaften, sondern ums Wirtschaften (s.u.) (owT) - dottore, 25.09.2003, 19:00
- Richtig Reinhard! Freud hat manche bêtisen von sich gegeben! (owT) - Galiani, 25.09.2003, 21:33
- Nicht ganz so intelektuell, aber.... - chiron, 25.09.2003, 19:30
- Lb. chiron! Solche (mekantilistischen) Ansichten sind seit Jahrhunderten passé (owT) - Galiani, 25.09.2003, 21:31
- ...was nichts über die Qualität aussagt. - chiron, 25.09.2003, 22:02
- Re: Nicht ganz so intelektuell, aber.... - dottore, 26.09.2003, 11:29
- Lb. chiron! Solche (mekantilistischen) Ansichten sind seit Jahrhunderten passé (owT) - Galiani, 25.09.2003, 21:31
- Re: Einstein, Freud, die Gewalttheorie und der allseitige Illusionismus - chiron, 25.09.2003, 16:32
Freud: Die psychologische Grundlage für eine Theorie der Aggression
-->John Keegan schreibt dazu:
---------------------------------------------------------------------------
Freud hat die psychologische Grundlage für eine Theorie der
Aggression geliefert. Anfangs sah er darin das Ergebnis einer
Nichtbefriedigung des Sexualtriebes; nach dem Ersten Weltkrieg -
in dem sich zwei seiner Söhne auszeichneten - gelangte er zu einer
düstereren Auslegung.8 In seinem berühmten Briefwechel mit
Einstein, der unter dem Titel Warum Krieg? veröffentlicht wurde,
erklärte er unumwunden, der Mensch trage den Drang zu Haß und
Zerstörung in sich. Der einzige Hoffnungsschimmer sei, daß sich
eine wohlbegründete Furcht vor der Gestalt entwickeln werde, die
künftige Kriege annehmen könnten. Diese von Freudianern als
Theorie des «Todestriebs» übernommenen Beobachtungen
betrafen in erster Linie das Individuum. In Totem und Tabu (1913)
hatte Freud eine Theorie der Gruppenaggression vorgelegt, die sich
stark auf die Anthropologie stützte. Er stellte die patriarchalisch
ausgerichtete Familie als gesellschaftliche Ureinheit dar und
erklärte, diese habe sich unter dem Druck sexueller Spannungen
verzweigt. Der Patriarch habe das ausschließliche sexuelle
Verfügungsrecht über die Frauen der Familie gehabt, was seine
unbefriedigten Söhne dazu trieb, ihn zu ermorden und
anschließend zu verzehren. Von Schuldgefühlen heimgesucht,
hätten sie daraufhin den Inzest geächtet (oder tabuisiert) und die
Forderung nach Exogamie aufgestellt - das heißt, fortan mußte
außerhalb des Familienverbandes geheiratet werden. Daraus
entwickelten sich allerlei Möglichkeiten zu Frauenraub,
Vergewaltigung und späteren Fehden, für die sich bei der
Untersuchung ursprünglicher Gesellschaften viele Beispiele
fänden.
Totem und Tabu war das Ergebnis der Vorstellungskraft
seines Verfassers, und in neuerer Zeit hat die vergleichende
Verhaltensforschung (Ethologie), die die Psychologie mit der
Untersuchung des Verhaltens von Tieren verknüpft, genauere
Erklärungen für das Gruppenverhalten geliefert. Die grundlegende
Vorstellung vom Revierverhalten geht zurück auf das Werk des
Nobelpreisträgers Konrad Lorenz, der aus den bei der
Beobachtung von Tieren in Freiheit und in Gefangenschaft
gewonnenen Erkenntnissen den Schluß gezogen hat, bei der
Aggression handele es sich um einen natürlichen «Instinkt», der
seine Energie aus dem Organismus selbst beziehe und sich
«entlade», sobald ihn ein passender «Schlüsselreiz» auslöse. Die
meisten Tiere allerdings verfügen seiner Ansicht nach über die
Fähigkeit, auf aggressive Angehörige der eigenen Art
beschwichtigend einzuwirken, und zwar gewöhnlich durch Flucht
oder durch sogenannte Demutsgebärden. Der Mensch, erklärte
Lorenz, habe sich anfangs ebenso verhalten, doch nachdem er
gelernt habe, Jagdwaffen herzustellen, sei es zu einer
Überbevölkerung gekommen. Nunmehr mußten die einen die
anderen töten, um ein bestimmtes Territorium zu verteidigen, und
die Verwendung von Waffen, die eine emotionale «Distanz»
zwischen Mörder und Opfer herstellten, habe die Demutsgebärde
verkümmern lassen. Seiner Überzeugung nach wurde auf diese
Weise aus dem Menschen, der als Jäger anderen Arten nachstellte,
um sich zu ernähren, ein aggressives Wesen, das Angehörige der
eigenen Art tötet.9
Robert Ardrey hat Lorenz' Vorstellung vom Revierverhalten
weitergeführt, um die Gruppenaggression erklären zu können. Da
Gruppen bei der Jagd erfolgreicher seien als einzelne, so Ardrey,
hätten sie gelernt, wie jagende Tiere auf einem allen gemeinsamen
Gelände miteinander zu jagen. Damit sei die gemeinschaftlich
ausgeübte Jagd Grundlage der gesellschaftlichen Organisation
geworden und habe dazu geführt, andere Menschen als
Eindringlinge anzusehen und zu bekämpfen.10 Ausgehend von
Ardreys Jagdthese haben Robin Fox und Lionel Tiger eine
Erklärung dafür vorgeschlagen, warum in der Gesellschaft Männer
die Führungsrolle übernehmen. Jagende Gruppen, heißt es bei
ihnen, mußten ausschließlich aus Männern bestehen, nicht nur weil
sie kräftiger waren, sondern weil Frauen eine (biologisch
begründete) Ablenkung bedeutet hätten; da Gruppen von Jägern,
um Erfolg zu haben, Führer benötigten und da sie über
Jahrtausende hinweg die für das Überleben unerläßliche Nahrung
beschafften, habe später eine aggressive männliche Führerschaft
den Charakter aller Formen gesellschaftlicher Organisation
bestimmt.11
Den Vertretern der ältesten Disziplin der Sozialwissenschaft,
der Anthropologie, waren die Theorien von Lorenz, Ardrey, Tiger
und Fox, die sich stark auf die Arbeit von Forschern auf dem
Gebiet menschlichen und tierischen Verhaltens stützen, wenig
willkommen. Die Anthropologie ist ein Zweig der Ethnographie,
die überlebende primitive Völker in ihren angestammten Gebieten
untersucht und, auf die Ethnographie gestützt, Erklärungen für
Ursprung und Wesen zivilisierter Gesellschaften zu liefern
versucht. Frühe Ethnographen wie Latifau und Demeunier hatten
im 18. Jahrhundert erklärt, der Krieg sei ein wesentliches Merkmal
der von ihnen untersuchten Gesellschaften, und mit ihrer Arbeit,
beispielsweise über die Indianer, lieferten sie Beschreibungen des
«primitiven» Krieges, die heute als einzigartig gelten.12 Aus der
beschreibenden Ethnographie wurde die Anthropologie, weil sich
im 19. Jahrhundert zunehmend Befürworter und Gegner der
Darwinschen Theorie auf diesem Gebiet tummelten. Damals kam
es zur großen Auseinandersetzung über die Frage, ob das
Verhalten des Menschen ererbt oder erworben ist, die bis auf den
heutigen Tag die Sozialwissenschaftler spaltet.
Eröffnet wurde die Debatte 1874 von Darwins Vetter Francis
Dalton, und schon bald wurde der Krieg zu einem besonderen
Untersuchungsgegenstand. Das war denen zu verdanken, die das
menschliche Verhalten als erworben ansahen; sie wollten, von der
Denkweise des 19. Jahrhunderts beeinflußt, den Nachweis führen,
daß die höheren Fähigkeiten des Menschen seiner niederen Natur
überlegen seien und die Vernunft ihn veranlasse, immer mehr
Formen des Sozialverhaltens zu entwickeln, die auf
Zusammenarbeit ausgerichtet sind. Es gelang dieser Schule, das
Hauptaugenmerk der anthropologischen Untersuchung auf den
Ursprung politischer Einrichtungen zu lenken; diese waren nach
ihrer Ansicht innerhalb von Familie, Sippe und Stamm, nicht aber
in deren Außenbeziehungen (wozu die Kriegführung gehört) zu
finden. Vertreter der Schule, die auf «Vererbung» setzten - weil sie
die These verfochten, Kampf sei das Mittel der Veränderung,
nannte man sie Sozialdarwinisten -, waren anderer Ansicht,
wurden aber an den Rand gedrängt.13 Ihre Gegner lenkten die
Diskussion auf die Frage, die sie als Schlüsselfrage ansahen,
nämlich die der Verwandtschaftsbeziehungen in primitiven
Gesellschaften, aus denen nach ihrer Auffassung alle höheren,
komplexeren Beziehungen nichtverwandtschaftlicher Art
entstanden waren.
Bei der Frage der Verwandtschaft ging es um die
Beziehungen, die zwischen Eltern und Kindern, Kindern
untereinander sowie ferneren Verwandten bestanden. Ebenso
unumstritten wie die Ansicht, daß solche Beziehungen der
Staatenbildung vorausgingen, war die Erkenntnis, daß es sich bei
Familie und Staat um unterschiedliche Organisationen handelte.
Die Schwierigkeit bestand darin, zu zeigen, auf welche Weise sich
aus der Familie der Staat entwickelt hatte und ob Beziehungen
innerhalb der Familie die innerhalb der Staaten bestimmten. Die im
wesentlichen liberale Haltung derer, die das Verhalten des
Menschen als erworben ansahen, benötigte Beweise dafür, daß sich
die Beziehungen innerhalb eines Staates durch rationale
Entscheidungen regeln und in Gesetzesform festlegen ließen.
Damit geriet die Anthropologie unter Druck; sie mußte Beispiele
für primitive Gesellschaften liefern, deren Verwandtschaftsmuster
die in der Politik neuzeitlicher liberaler Staaten üblichen
Beziehungen vorwegnahmen. Eine ganze Reihe von Belegen ließ
sich so oder so deuten, insbesondere solche, bei denen Mythos und
Ritual für eine Stärkung verwandtschaftlicher Bindungen und eine
Vermeidung von Gewalt sorgten. Bis zum Ende des 19.
Jahrhunderts widmeten sich die Anthropologen nicht so sehr der
Frage, ob die Wurzeln menschlicher Beziehungen in der
Verwandtschaft zu sehen sind, sondern der Frage, ob die
schöpferischen Kulturen, die sie als Muster ausgewählt hatten,
spontan an verschiedenen Stellen entstanden waren oder sich von
einem ursprünglichen Zentrum an andere Orte ausgebreitet hatten.
Die Suche nach den Ursprüngen lief am Ende ins Leere,
denn man mußte einräumen, daß nicht einmal die «primitivsten»
der untersuchten Gesellschaften im Urzustand existierten. Sie alle
mußten auf die eine oder andere Weise - und sei es noch so
flüchtig - mit anderen in Berührung gekommen sein. Der sich lang
hinziehenden und insgesamt unfruchtbaren Debatte unter
Anthropologen setzte Anfang des 20. Jahrhunderts Franz Boas ein
Ende. Dieser in die Vereinigten Staaten ausgewanderte Deutsche
erklärte schlicht, eine Suche nach den Ursprüngen sei unergiebig.
Sofern sie nur gründlich genug suche, werde die Anthropologie
entdecken, daß eine Kultur jeweils nur auf ihren eigenen
Fortbestand bedacht sei. Da es sich dabei nicht um rationales Tun
handele, sei es sinnlos, frühe Kulturen nach historischen Belegen
für eine bevorzugte politische Form der Neuzeit zu durchforschen.
Der Mensch müsse die Freiheit haben, unter der größten Vielzahl
kultureller Formen frei zu wählen und sich für die zu entscheiden,
die ihm am meisten zusage.14
Diese Vorstellung, die als kultureller Determinismus bekannt
wurde, fand durch die Arbeit von Boas' Assistentin, Ruth Benedict,
weiteste Verbreitung. Ihr 1934 veröffentlichtes Urformen der
Kultur 15 wurde zum einflußreichsten Werk der Anthropologie,
selbst wenn man James Frazers elfbändiges Werk The Golden
Bough (1890-1915) einbezieht, mit dem die Aufmerksamkeit
weiter Kreise auf die Universalität menschlicher Mythen gelenkt
wurde.16 Benedict postulierte die Existenz zweier kultureller
Hauptformen: der autoritären apollinischen und der toleranten
dionysischen. Letztere war bereits 1925 von Margaret Mead, einer
jungen Schülerin von Boas, auf ihrer Reise in die Südsee
«entdeckt» worden. In ihrem Buch Jugend und Sexualität auf
Samoa hieß es, sie habe dort eine Gesellschaft vorgefunden, die in
vollkommenem Einklang mit sich selbst lebe und in der die Bande
der Verwandtschaft so sehr gelockert seien, daß man sie kaum
wahrnehme. Auch sei die Autorität der Eltern innerhalb der
Großfamilie aufgelöst, Kinder stritten sich nicht um den Vorrang,
und Gewalttätigkeit sei praktisch unbekannt. Meads Werk ist bis
auf den heutigen Tag für Feministinnen, fortschrittliche Pädagogen
und Vertreter eines moralischen Relationismus eine Art
Evangelium geblieben, ob ihnen das bewußt ist oder nicht.
Der kulturelle Determinismus beeindruckte auch Boas'
Kollegen in der angelsächsischen Welt, allerdings aus einem
anderen Grund. Die Briten, die dank der gewaltigen Ausdehnung
ihres Weltreiches auf dem Gebiet der Ethnographie führend waren,
erkannten zwar die Bedeutung dieser Theorie an, schreckten aber
vor ihrer intellektuellen Verschwommenheit zurück. Vor allem
störte sie die mangelnde Bereitschaft der Vertreter des kulturellen
Determinismus, einzugestehen, daß die Natur des Menschen und
seine materiellen Bedürfnisse ebenso bedeutsam sein können wie
die Freiheit, zu entscheiden, in welcher Kultur er lebt. Unter dem
Einfluß eines weiteren deutschsprachigen Auswanderers,
Bronislaw Malinowski, der seine ersten Untersuchungen ebenfalls
in der Südsee durchgeführt hatte, allerdings zehn Jahre vor
Margaret Mead, entwickelten sie einen anderen Ansatz, der als
struktureller Funktionalismus bekanntgeworden ist.17 Diese
schwerfällige Bezeichnung spiegelt die Verschmelzung zweier
Sichtweisen, deren erste vom Darwinismus und von der
Evolutionslehre geprägt war. Ihr zufolge ergibt sich die Form einer
Gesellschaft aus der Funktion ihrer «Angepaßtheit» - der Begriff
ist rein darwinistisch - an ihren Lebensraum. Das sei an einem
vergröbernden Beispiel dargestellt: daß Menschen Brandrodungs-Feldbau
betrieben, geht darauf zurück, daß sie in bewaldeten
Gebieten mit geringer Bodenfruchtbarkeit lebten, die aber dünn
besiedelt waren. Daher erschien es ihnen sinnvoll, für eine oder
zwei Ernten eine Lichtung freizulegen, Süßkartoffeln anzubauen,
Schweine zu mästen und dann weiterzuziehen. Die Fähigkeit
solcher Gesellschaften, an ihre Umgebung «angepaßt» zu bleiben,
wird jedoch durch ihre kulturelle Struktur aufrechterhalten, die auf
den ersten Blick einfach erscheinen mag, die sich aber dem
Ethnographen, der bereit ist, lange genug unter ihnen zu leben,
möglicherweise als erstaunlich vielschichtig enthüllt.
Die Vertreter des strukturellen Funktionalismus legten eine
weit detailliertere Analyse der Gesellschaft vor, als es denen des
kulturellen Determinismus erforderlich schien. Das Material, das
sie zusammentrugen, um zu zeigen, auf welche Weise die Struktur
die Funktion stützt, gehörte allerdings in die beiden bekannten
Kategorien, nämlich Mythos und Verwandtschaft. Über beider
Wechselbeziehung wurde in immer abstrakterer Sprache bis zum
Zweiten Weltkrieg und darüber hinaus debattiert. Nach dem Krieg
nahm die Heftigkeit der Auseinandersetzung zu, als ein brillanter
Franzose, Claude Lévi-Strauss, in die Debatte eingriff. Ihm gelang
es, den Eindruck zu erwecken, als sei die Struktur weit wichtiger
als die Funktion, und ausgehend von Freuds Lieblingsvorstellung,
dem Tabu, machte er sich daran, das entsprechende
anthropologische Fundament zu schaffen, das die Psychoanalyse
nie hatte liefern können. Tatsächlich, so Lévi-Strauss, gebe es in
primitiven Gesellschaften ein vom Mythos gestütztes Inzesttabu.
Auf dessen Einhaltung werde insofern geachtet, als man zwischen
Familien, Stämmen und so weiter Mechanismen für den Tausch
eingerichtet habe, bei dem die Frauen das wertvollste Gut waren.
Durch die Entwicklung eines Tauschsystems habe man Gefühle
des Grolls und der Verstimmung beschwichtigt; die höchste Stufe
der Beschwichtigung sei der Austausch von Frauen gewesen, um
Inzest zu vermeiden.18
Erklärungen, auf welche Weise Gesellschaften stabil blieben
und sich am Leben erhielten, beherrschten von nun an die
Anthropologie. Zwar hatte man schon zuvor gewußt, daß
Streitigkeiten um Frauen die Hauptursache von
Auseinandersetzungen unter primitiven Völkerschaften waren;
doch niemand war bereit, sich mit deren Konsequenz, nämlich
Krieg, zu beschäftigen. Das war sonderbar, denn Lévi-Strauss
schrieb in den Jahren nach dem entsetzlichsten Krieg der
Menschheitsgeschichte, an dem viele führende Anthropologen, vor
allem der in seiner Zeit herausragende Brite Edward Evans-Pritchard,
teilgenommen hatten. Evans-Pritchard selbst hatte 1941
in Äthiopien einen Trupp wilder Stammeskrieger gegen
italienische Einheiten geführt, und die entsetzlichen Racheakte, die
die Äthiopier an ihren einstigen Kolonialherren verübten, riefen
Angstgefühle in ihm wach, die er für den Rest seines Lebens nicht
mehr loswurde.19
Der erste Anthropologe, der die kollektive Weigerung seiner
Kollegen, die Bedeutung des Krieges anzuerkennen, nicht mehr
mit ansehen mochte, war Harry Turney-High, der 1949 ein Buch
vorlegte, mit dem er bewußt Anstoß erregen wollte: Primitive
Warfare. Turney-High hatte, wie viele seiner Generation, seine
Untersuchungen unter Indianern durchgeführt, von denen einige zu
den kriegerischsten Menschen gehörten, die der Ethnographie
bekannt sind. 1942 verließ er die Universität, um in den Krieg zu
ziehen; er kam zur Kavallerie, just als diese im Begriff stand, für
immer von der Bildfläche zu verschwinden. Zweifellos haben das
Kavalleriepferd und die Bewaffnung des berittenen Kriegers die
Vorstellungskraft eines gebildeten Mannes angeregt und auf die
Anfänge hingewiesen, als der Mensch mit der Welt des Tieres in
Berührung kam. Alexander Stahlberg, ein Zeitgenosse
TurneyHighs und Angehöriger eines der letzten deutschen
Kavallerieregimenter, hat geschrieben, man müsse mit einer
Schwadron geritten sein, um die Faszination zu verstehen, die von
Pferden en masse ausgehe, denn das Pferd sei seinem Wesen nach
ein Herdentier.20
Das Exerzieren mit dem Säbel öffnete Turney-High die
Augen dafür, daß fast alles, was Ethnographen über Kriege
früherer Zeiten geschrieben hatten, unzureichend war: «Die
Beharrlichkeit, mit der Sozialwissenschaftler den Krieg mit den
Werkzeugen des Krieges verwechseln», heißt es im
Eröffnungskapitel, «wäre minder erstaunlich, wenn ihre Schriften
nicht eine... vollständige Unwissenheit über die Grundlagen der
Militärgeschichte zeigen würden... Es dürfte schwerfallen, im
Berufsheer zweitrangiger Mächte einen Unteroffizier zu finden,
der die Dinge so verworren sieht wie das Gros derer, die die
menschliche Gesellschaft analysieren.»21
Er hat recht. Noch heute sehe ich den Ausdruck des
Abscheus im Gesicht des hochberühmten Direktors einer der
größten Sammlungen von Waffen und Rüstungen auf der Welt, als
ich beiläufig erwähnte, daß Feldscher im Zeitalter des
Schießpulvers aus den Wunden von Soldaten häufig
Knochensplitter und Zähne von Kameraden herausholten. Er hatte
sich einfach nie Gedanken darüber gemacht, welche Wirkungen
die Waffen, über die er so viel wußte, auf die Körper der Soldaten
hatten, gegen die sie eingesetzt wurden. «Diese Haltung der
Zivilisten», erklärte TurneyHigh, «hat dazu geführt, daß in
Hunderten von Museumsvitrinen Waffen aus der ganzen Welt
ruhen, die man zwar exakt katalogisiert und ordentlich
gekennzeichnet, aber nicht verstanden hat.»22 Er war entschlossen,
den Anthropologen neben der düsteren und gewalttätigen Seite des
Lebens der von ihnen untersuchten Völker auch den Zweck der
von ihnen bei feierlichen Anlässen getragenen Waffen
klarzumachen, der darin bestand, Knochen zu zerschmettern und
Fleisch zu durchdringen. Wenn die Tauschmechanismen
zusammenbrachen, mit denen sie angeblich ihre
Verwandtschaftssysteme beständig im Gleichgewicht hielten,
waren die Folgen tödlich.
Turney-High bestritt nicht, daß manche der primitiven
Völker «vormilitärisch» gewesen seien, und war sogar bereit
einzuräumen, daß einige, wenn man sie sich selbst überließ, gern
eine so friedliche und produktive Lebensweise wählten wie
diejenige, die Margaret Mead angeblich in Samoa vorfand.23 Doch
beharrte er unerbittlich auf seiner These, Krieg habe es, von
einzelnen Ausnahmen abgesehen, überall und zu allen Zeiten
gegeben, und er stieß seine Kollegen gnadenlos mit der Nase
darauf. «Der Ethnograph hat nicht gezögert, nach bestem Wissen
alle Kulturzeugnisse, ob materieller oder nichtmaterieller Art, zu
beschreiben, zu klassifizieren und einander zuzuordnen. Auch hat
er nicht gezögert, den Krieg ausführlich zu behandeln, geht es
dabei doch um einen der wichtigsten nichtmateriellen Komplexe
des Menschen. Nur die Kernfrage ‹Auf welche Weise kämpft diese
oder jene Gruppe?› bleibt ausgeschlossen. Die Feldforschung hat
den Zukkerguß aufs genaueste betrachtet und dabei den Kuchen
übersehen.»24
Der zum Kavalleristen gewordene Anthropologe lieferte jetzt
in handfesten Portionen die ethnographische Beschreibung, wie
Gruppen kämpften. Mit einer großen Bewegung umfaßte er
Polynesien, das Amazonasbecken, das Land der Zulu, die
nordamerikanischen Ebenen, in denen die Indianer gelebt hatten,
die subarktische Tundra und die Wälder Westafrikas. In schaurigen
Einzelheiten beschrieb er dabei Kannibalismus, Folterung von
Gefangenen, Kopfjägerei, Skalpieren und rituelles Aufschlitzen
des Körpers, wo auch immer sie sich fanden. Er analysierte die
genaue Art des Kampfes in Dutzenden verschiedener
Gesellschaften; er beschrieb, wie die Bewohner der Neuen
Hebriden vor den versammelten Kriegern beider Seiten Kämpfer
für rituelle Zweikämpfe auswählten; wie die nordamerikanischen
Papago-Häuptlinge einige Männer zu «Tötern» ernannten und
andere beauftragten, diese im Kampf zu schützen; wie die
Assinboin im Krieg die Führerschaft derjenigen anerkannten, die
vom Sieg über einen ihrer Gegner geträumt hatten; und wie bei den
Irokesen eine Art Feldgendarmerie dafür sorgte, daß Drückeberger
in einer kämpfenden Truppe bei der Stange blieben. Mit
erbarmungsloser Anschaulichkeit stellte er dar, welche
Auswirkung Speer, Pfeil, Keule und Säbel auf das menschliche
Fleisch haben. Um sicherzugehen, daß kein empfindsamer Kollege
der Vorstellung ausweichen konnte, wie eine Waffenspitze aus
Feuerstein gewirkt haben mag, wies er darauf hin, daß deren
direkter Abkömmling das Bajonett sei. Die Entwicklung dieser
Waffe, erklärte er, sei in der Geschichte für die Tötung von mehr
Menschen verantwortlich als alle anderen Waffen zusammen.25
Mit all dem wollte Turney-High selbstverständlich mehr
erreichen, als lediglich der Anthropologie Belege dafür zu liefern,
daß sich der frühe Mensch die Hände blutig gemacht hatte. Der
springende Punkt für ihn war, daß die meisten der von den
Ethnographen mit Vorliebe untersuchten Gesellschaften «unterhalb
des militärischen Horizonts» existierten; ins Zeitalter der Moderne
träten sie aber erst, wenn die Sonne ihrer Zukunft über diesen
Horizont aufgehe. Mit einem Schlag stellte er alle theoretischen
Erwägungen derjenigen in Frage, die den kulturellen
Determinismus und den strukturellen Funktionalismus vertraten,
einschließlich der Theorien von Lévi-Strauss (dessen folgenreiches
Werk Die elementaren Strukturen der Verwandtschaft ebenfalls
1949 erschienen war). Kühn behauptete Turney-High, es sei
sinnlos, in irgendeiner Wahlmöglichkeit zwischen verschiedenen
Kulturen, in einer strukturellen Anpassung an den Lebensraum
oder in einer mythischen Handhabung von Tauschsystemen die
Ursprünge des liberalen Staates zu suchen. Alle auf jener Stufe
stehenden Gesellschaften, erklärte er mit Nachdruck, seien bis ans
Ende der Zeit dazu verdammt, im Zustand der Primitivität zu
verharren. Erst wenn eine Gesellschaft von der primitiven
Kriegführung zu einer (wie er es nannte) wahren oder zivilisierten
Kriegführung voranschreite, könne ein Staat entstehen. Daraus
folge, daß erst nach der Entstehung eines Staates darüber
entschieden werde, ob er theokratisch, monarchisch, aristokratisch
oder demokratisch sei. Entscheidend für den Übergang vom
Zustand der Primitivität zur Moderne, so Turney-Highs
Schlußfolgerung, sei «das Auftreten des Heeres mit Offizieren».26
Da er den meisten Anthropologen auf den ersten Seiten
seines Buches ein geistiges Niveau unter dem von Unteroffizieren
bescheinigt hatte, kann es kaum überraschen, daß seine Kollegen
es ihm heimzahlten, indem sie sein Buch völlig ignorierten. Der
Politikwissenschaftler David Rapaport, der das Vorwort zur
zweiten Auflage (1971) schrieb, sah in dieser Reaktion eine
«‹systematische Unfähigkeit›, ein originelles Werk zu erkennen».27
Doch die Erklärung war weit einfacher. Die meisten begriffen, daß
man sie gekränkt hatte, und kehrten einer wie der andere dem
Urheber der Beschimpfung den Rücken. Die Reaktion wäre
verständlich, wenn Turney-Highs Buch heute auf den Markt käme.
Er vertritt nämlich unbeirrt den gleichen Standpunkt wie
Clausewitz, der den militärischen Rang einer Gesellschaft daran
maß, ob sie mit ihrer Kriegführung den Sieg anstrebe; die Mittel
dazu waren Gebietseroberung und Entwaffnung des Feindes. Doch
im Atomzeitalter (Turney-High verfaßte seine Arbeit, bevor die
Sowjetunion ihre erste Atombombe gezündet hatte) erscheint ein
Sieg à la Clausewitz auch den unsentimentalsten
Militärtheoretikern als äußerst fragwürdig, und es ist zweifelhaft,
ob viele von ihnen der Vorstellung des «zivilisierten» Krieges
folgen würden, die Turney-High vor vierzig Jahren entwickelt hat.
Dennoch bleibt es dabei, daß er zu seiner Zeit die Vertreter seiner
Zunft in Verlegenheit gebracht hat. Er wollte, daß sie darüber
nachdenken, wie aus den bei ihnen so beliebten staatenlosen
Gesellschaften durch Krieg die Staaten geworden waren, die für
die Kosten ihrer Feldforschung aufkamen, und er wollte sich nicht
damit abfinden, daß man ihm die Antwort verweigerte.
Tatsächlich bekam er eine Antwort - im Lauf der Zeit. Der
Druck der äußeren Ereignisse veranlaßte die Anthropologen, ihre
«Primitiven» auch als Krieger und nicht ausschließlich als
Menschen anzusehen, die sich gegenseitig Geschenke machten
oder Mythen erdachten. Am stärksten wurde der Druck in den
Vereinigten Staaten empfunden. Sie waren eine bedeutende
Atommacht, führten Krieg in Vietnam und spielten seit 1945 eine
führende Rolle auf dem Gebiet der Anthropologie. Die
Feldforschung von Ethnographen ist ungeheuer kostspielig, und so
mußten sich die meisten Wissenschaftler an den finanzkräftigen
Universitäten der USA nach Mitteln dafür umsehen. Da es ihre
Aufgabe war und ist, die tiefsten und ältesten Geheimnisse des
menschlichen Verhaltens zu erkunden, begannen ihnen die
Studenten der amerikanischen Universitäten, wo der Widerstand
gegen das Wettrüsten am stärksten ausgeprägt war, die ewige
Frage zu stellen: Was veranlaßt den Menschen zu kämpfen? Ist er
von Natur aus aggressiv? Hat es je Gesellschaften ohne Krieg
gegeben? Gibt es noch welche? Kann eine moderne Gesellschaft
den Weg zu einem dauerhaften Frieden beschreiten, und falls nicht
warum nicht?
Waren in den fünfziger Jahren lediglich fünf Aufsätze zur
Anthropologie des Krieges in wissenschaftlichen Zeitschriften
erschienen 28, so gibt es seit den Sechzigern eine wahre Flut. Die
altgediente Margaret Mead versuchte 1964, in einem Artikel mit
dem Titel «Warfare is only an invention» (Krieg ist eine bloße
Erfindung)29 Anhänger um die Fahne des kulturellen
Determinismus zu scharen. Eine neue Generation von
Anthropologen war allerdings nicht der Ansicht, daß die Dinge so
einfach seien. Neue Theorien machten sich breit. Eine davon war
die mathematische Spieltheorie, die bestimmten
Wahlmöglichkeiten in einem beliebigen Interessenkonflikt
Zahlenwerte zuwies und erklärte, am erfolgreichsten werde die
Strategie sein, mit deren Hilfe sich die höchste Zahl erreichen
lasse. Da die Spieltheorie auf der Ebene des Unbewußten
funktioniere, brauchten die Menschen nicht zu wissen, daß sie an
einem Spiel beteiligt seien; es gehe auch so weiter. Der «Lohn»
bestehe im Überleben derer, die am häufigsten die richtige Wahl
getroffen hätten.30 Diese Theorie versuchte lediglich, Darwins
Lehre von der natürlichen Zuchtwahl auf eine quantifizierende
Grundlage zu stellen; doch fand sie aufgrund ihrer Brillanz viele
Anhänger.
Andere beschäftigten sich mit der im Entstehen begriffenen
Ã-kologie, der Untersuchung der Beziehungen zwischen einer
Population und ihrem Lebensraum. Schon bald erkannten junge
Anthropologen, daß gewisse Begriffe der Ã-kologie, beispielsweise
die Ertragskraft, durch die die Bevölkerung in einem bestimmten
Gebiet auf dessen Nahrungsvorrat begrenzt wird, für sie von
großem Nutzen sein konnten. Konsum bedeutet
Bevölkerungswachstum, dieses führt zu Wettbewerb, dieser ruft
Konflikte hervor und so weiter. War der Wettbewerb selbst die
Kriegsursache? Oder war umgekehrt der Krieg durch seine
«Funktion», die Bevölkerung zu vermindern oder die Besiegten
aus dem Konfliktbereich zu vertreiben, eine Ursache an und für
sich?
So hätte man noch lange weiter über die ausgetretenen Pfade
von «Ursprüngen» und «Funktionen» ziehen können, wenn nicht
zweierlei die Geschwindigkeit und Richtung geändert hätte. Zum
einen widmete die Anthropologische Gesellschaft Amerikas bei
ihrem Jahreskongreß 1967 der Frage des Krieges ein Symposium,
bei dem endlich die von Turney-High gemachte Unterscheidung
zwischen «primitivem» und «wahrem» oder «zivilisiertem» Krieg
(inzwischen nannte man ihn «modernen» Krieg) akzeptiert wurde -
achtzehn Jahre, nachdem er sie vorgeschlagen hatte.31 Zum
anderen kehrten von 1960 an Anthropologen, die Turney-Highs
Erkenntnis stillschweigend akzeptiert und sich aufgemacht hatten,
mit seinen Augen nach primitiven Kriegern zu suchen, mit neuen
Ergebnissen von ihren Expeditionen zurück.
Selbstverständlich herrschte noch immer keine Einigkeit
darüber, wie Krieg zu erklären sei, doch hatte man jetzt Krieger
beobachtet, die primitive Waffen - Speer, Keule, Pfeil -
verwendeten, und mit solchen Waffen waren zweifellos erstmals
Kriege ausgetragen worden. Man konnte darüber streiten, ob diese
einfach aus Holz bestanden oder mit Knochen- oder Steinspitzen
versehen waren, oder ob der Kampf zwischen Menschen, der sich
in irgendeiner Weise als Krieg bezeichnen läßt, erst durch die
Entwicklung der Metallbearbeitung möglich geworden war. Aber
nicht einmal die erbittertsten Gegner der Vorstellung, daß die
Technik das Wesen einer Gesellschaft bestimmt, konnten
bestreiten, daß Speer und Keule und sogar Pfeil und Bogen den
Schaden begrenzen, den Menschen einander im Kampf zufügen
können, insbesondere weil ihre Reichweite begrenzt ist.
Die Kriegführung von heutigen Menschen, die zum Kampf
weiterhin Speere, Keulen und Pfeile verwendeten, brachte
zumindest gewisse Erkenntnisse über das Wesen des Kampfes in
der Frühzeit. Kampf ist der Kern des Krieges, die Tätigkeit, bei der
Männer in größerer Zahl verstümmelt oder getötet werden, das,
worin sich Krieg von bloßer Feindseligkeit unterscheidet. Und hier
liegt auch der Grund für das moralische Problem: Ist der Mensch
gut oder böse? Entscheidet er sich für den Krieg, oder wird ihm
diese Entscheidung abgenommen? Die jungen Anthropologen, die
ausgezogen waren, um eine Antwort auf Turney-Highs
Schlüsselfrage «Wie kämpft eine bestimmte Gruppe?» zu finden,
brachten die ersten handfesten Beobachtungen von Kämpfen mit
einfachen Waffen mit und gewannen zumindest unter diesem
Aspekt Erkenntnisse darüber, wie der Krieg möglicherweise
entstanden war. Auf diesen Punkt ist in ihren Berichten zu achten.
Die folgenden Fallstudien werden entsprechend der jeweiligen
Entwicklungsstufe wiedergegeben; am Anfang stehen die
primitivsten Formen der Kriegführung.
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